Gastbeitrag des drittplatzierten Österreichers Martin Lehner, AUT 171, amtierender O-Jollen Europameister
Prolog
„Du musst wissen“, sagt mein Segelsport-Klassenkamerad Herbert, vulgo „Kasper“, zu mir und sagt es nochmals zu mir, wahrscheinlich der größeren Eindringlichkeit wegen:
„Du musst wissen Martin, ich würde ja mitsegeln, aber an diesem Samstag „BOSELN“ wir in mei´m Club, und das organisiere ich mit, da kann ich unmöglich.“
Alle Nordmensch:innen wissen jetzt natürlich genau, was „boseln“ ist, aber all jene, die mit der Bürde südlich des Weißwurschtäquators geboren worden zu sein leben müssen, wissen natürlich nichts.
Wer jetzt an Baumstamm weitwerfende Pikten denkt liegt gar nicht so falsch…
Wenn gleich einem inneralpinen Zentraleuropäer nicht zu erklären ist, warum man einen kugelartigen Gegenstand den Berghang hinunter werfen sollte, um diesem dann in verzweifelter Weise nachzulaufen…Beschreiben kann man BOSELN, erklären nicht.
Aber der geneigte Leser erkennt sofort: Ab sofort gibt es den tausend und ersten Grund warum einem das Segeln nicht möglich ist.
Episoden
Mitwirkende:
Seglersfrauen, Seglerskinder, 16 O/Jollensegler national, wie international, 1 Tendermotorbootfahrer, 2 Juroren, 2 Wettfahrtleiter, ungezähltes Publikum.
Ausstattung:
1 Seglerverein mit Seglerheim, Slip- und Steganlage. 1 Lagerfeuerschale.
2 Promo-Jollen segelfertig, 1 Wettfahrtleitung Motor-Zille, 1 Schlaucherl-MoBo, 2 Bojen, diverse Flaggen, 1 Tröte.
1 See, 1 Wind mit 1,5 bis 5kn, wünschenswerter Weise annähernd aus Ost.
Würste, Brote, Getränke, 1 Wildschwein, vorzugsweise gebraten.
Gelegentlich Sonne, sonst Novemberstimmungsnebel.
Gelegentlich Lastkäne das Regattagebiet kreuzend von rechts nach links.
Episode eins / Die Betriebssportanlage
Wie man berichtet, haben sich vor Jahrzehnten einige Segelinteressierte zusammengeschlossen und als Betriebssportanlage den Brandenburger Seglerverein Quenzsee aus der Taufe gehoben.
Ein hübsches Plätzchen am See bekommen - weiß nicht wie? - Bootshallen gebaut, den Vereinsnamen drauf geschrieben, wo dieser Tage im Herbst die Jolli´s fein säuberlich eingelagert stehen.
Wiese rundherum angelegt, einen Kinderspielplatz gibt’s auch und ob noch Zweifel bestünden, um welche Art von Verein es sich hierbei handeln könnte, noch einen stattlichen Fahnenmast in der Mitte aufgestellt.
Ein feiner Platz um sich zum Segeln zu Treffen.
Episode zwei / Das Format
Die Fragestellung zum geeigneten Regattaformat ist leicht formuliert:
Wie sollte ein Wettsegelformat für den November, quasi im Nachspann der Segelsaison, aussehen?
Richtige Antworten:
-. Am besten mit beigestellten Booten, damit fällt der Manipulationsstress mit dem eigenen Boot weg.
-. Kurzer Weg vom Club zum Regattagebiet.
-. Kurze Wettfahrten, wegen der zu erwartenden Wetterlagen.
-. Kurzweilige Wettfahrten am besten: Zum Zuschauen geeignet.
-. Heißer Tee plus Infrastruktur in Griffweite der Segler und Zuschauer.
-. Zwischen den Wettfahrten genug Zeit für gesellige Unterhaltung.
Gesagt – Getan, von Frank Hänsgen, Jörg Seifert und Steffen Götzke! Und all das hinbekommen in dem sie sich für das Match Race Format entschieden haben.
Das Interesse der eingeladenen und gekommenen O / Jollen Segler gibt ihnen Recht und das schon im dritten aufeinander folgenden Jahr.
Den Seglern selbst muss man allerdings auch attestieren, dass sie eine gesunde Mischung aus „matchen“, „racen“ und „gemeinsam segeln“ gefunden haben.
Episode drei / Der Dresscode
Wer hier ein Werkschau von „young fashion talents“ erwartet hat, wird jetzt leider enttäuscht sein…
Und es geht auch weder um Adolf Loos` gesellschaftskritischen Essay „Warum ein Mann gut angezogen sein soll“ noch um ZZ-Top´s rollenden Ohrwurm „sharp dressed man“..
Hier geht’s um „Michelin-Männchen“ und „Knackwürschte“ oder wie die Gastgeber an der Havel sagen würden „Bockwürste“.
Abgesehen von der zweifelhaften Lösung der sogenannten „Innen-Öhlung“, vornehmlich auf heimischen Schihütten praktiziert, um dem beißenden Winterfrost Paroli zu bieten, stehen dem November-Segelsportler prinzipiell zwei Varianten zur Verfügung:
Variante „Michelin-Männchen“, dh bekleiden in mehreren Schichten, bis man der Meinung ist: Es reicht für die vorherrschenden Temperaturen.
Zumeist ist man dann dick eingepackt, aufgebaut gleich einer Zwiebel, mit einer gewissen Tendenz zur Unbeweglichkeit – aber zumindest friert man nicht.
Oder die zweite Variante: Man segelt mit dem Zeug mit dem man sonst auch immer segelt, versucht jedoch unter dem Neoprengewand noch die eine oder andere wärmende Schicht drunter zu bekommen.
Diese Variante spannt die sonst ganz proper sitzende hiking Hose sehr unnatürlich und von außen betrachtet wirkt der Segler wie die sprichwörtliche „Knackwurscht“ kurz vor´m Platzen.
Resümierend kann man festhalten: „Knackwurscht“ wärmt auch – Restbeweglichkeit allerdings auch nicht besser.
Beim 3. O-Jollen Match Race waren statistisch gesehen die „Michelin-Männchen“ zahlenmäßig den „Knackwürschten“ überlegen.
Episode vier / Drahdiwaberl Segeln
Das Drahdiwaberl ist die mundartliche Bezeichnung für ein Kinderkreisel Spielzeug – das es ja eigentlich gar nicht mehr gibt…
Also das Spielzeug vielleicht schon, aber die Bezeichnung gibt’s nimmer.
Und Drahdiwaberl Segeln hat´s zudem nie gegeben – außer beim matchracen.
Die in engen Kreisen einander verfolgenden Gegner, die sich selbst in eine günstig Position zu bringen versuchen, darf man als bekannt voraussetzen.
In der Regel sind Machtrace Boote jedoch größer und behäbiger im handling, sodass das kreisartige Bewegen der Boote doch mit einem gewissen Radius und Langsamkeit von statten geht.
Nicht so bei den O/Jollen! Der Radius war eng, Wenden folgten unmittelbar auf Halsen und so weiter – lustig anzusehen, von Land aus betrachtet!
Und nicht überraschend zu hören, dass der eine oder andere die Übersicht und Balance beim flotten ringerein segeln verloren hat.
Als Polka oder zumindest Walzer affiner Österreicher war man jedenfalls klar im Vorteil !
Episode fünf / The Golden Rule
Goldene Regeln gibts ja viele, um nicht zu schreiben unzählige…
„Lieber neunundneunzig Mal nicht wollen, als einmal nicht können“ zum Beispiel.
Auch seglerische! „Wasser unten, Himmel oben – ist´s umgekehrt, bist in Schwierigkeiten“.
Und es liegt in unserer oder in der Natur von Goldenen Regeln, dass man sie übersieht, vergisst oder zu wenig berücksichtigt.
Als fleetracer bewegst Du Dich immer gleichzeitig in zwei Welten:
In der Welt des Windes und seiner Kapriolen und in der Welt des Feldes mit seiner Unsteuerbarkeit.
Als matchracer bewegst Du Dich in den selben beiden Welten, jedoch mit einer großen Ausnahme.
Die Welt des Feldes schrumpft auf die Singularität eines einzigen Bootes zusammen.
Eh logisch, denkst Du, na ja was sonst, denkst Du: Das ist ja der eigentliche Inhalt des matchraces – eins gegen eins.
Aber!
Bist Du vorne und irgendwo am Weg zur Luvtonne dreht Dir der Wind plötzlich auf die Nase, dass Du umlegest und direkt zur Tonne fährst, dann schau zuerst was Dein Mitstreiter macht.
Weil Windtaktik ist gut, aber gegen ein einziges Boot nicht so wichtig wie Feldtaktik.
Also: Legt er auch um auf „Deinen“ neuen Bug ist alles gut.
Fährt der aber am vermeintlich falschen Bug weiter und Du am vermeintlich richtigen, dh. Du „lässt ihn aus“, dann kann folgendes passieren:
Du bleibst 20m unter der Luvtonne stehen, kein Wind mehr. Aus.
Du kannst nach links oder nach rechts stehen, aber egal in welche Richtung Du´s machst, Du stehst.
Und jetzt kommt Dein Mitstreiter aus einer Ecke, weil dort sind noch oder schon wieder 2,5kn und holt auf, holt weiter auf und treibt in aller Seelenruhe in Luv an Dir vorbei.
Und bis Du mit dem Mist von Wind, den er Dir übriggelassen hat, wieder losfährst, da ist er schon um die Tonne herum und am Weg ins Ziel.
Und dann hältst Du´s mit Oma Janis (1943-1970) und gleich Ihr schreit´s aber dann nicht bis an die Grenzen des Erdenrunds, sondern nur in Dir: „CRY BABY“ !
Also vergiss das nächste Mal nicht die Goldene Regel beim matchracen: „Bleibe zwischen Tonne und Gegner“.
Befolgst Du die Regel nicht, dann darfst Du Dich zukünftig und das mit Fug und Recht „Jesus“ – englisch gesprochen: Tschisas - nennen, denn dann bist Du der, der Tote wieder lebendig macht !
Epilog
„Eines muss man schon ganz klar sagen“, sagt mein Segelsport-Klassenkamerad Herbert, vulgo „Kasper“, zu mir und sagt es nochmals zu mir, wahrscheinlich der größeren Eindringlichkeit wegen:
„Eines muss man schon ganz klar sagen, Martin: Es war nicht alles schlecht in der DDR. Sport zum Beispiel, Sport war wichtig für die. Aber man muss natürlich auch ganz klar sagen: So eine Zeit darf nie wieder kommen. Und wird auch nie wieder kommen“.
Wir können jetzt darüber spekulieren, ob der alte ostdeutsche Sportsgeist mitverantwortlich dafür ist, dass im November gerade in Brandenburg ein O / Jollen Match Race stattfindet.
De facto ist es aber so, dass weder in der großen holländischen O / Jollen Nation, noch in der viel kleineren österreichischen O / Jollen Gemeinde eine solche Veranstaltung stattfindet und erfolgreich angenommen wird.
Weder im November noch in einem der anderen 12, vielleicht witterungsfreundlicheren Monate des Jahres.
Das sieht auch Thies so, dessen Bericht zu lesen ich empfehle und der zu finden ist unter:
https://www.olympiajol.nl/nw-31474-7-4528521/nieuws/internationaal_match_racing_in_brandenburg.html
Vieles ist gesagt, noch viel, viel mehr ist nicht gesagt, schließen möchte ich mit einem großen DANKE an Frank, Jörg, Steffen und ihrem gesamten Team des BSVQ .e.V. für die schöne Segelveranstaltung!
martL - AUT171